Flugplatz Lützellinden: In zweieinhalb Stunden nach Sylt
Gießen-Lützellinden
(si). Er liegt weit ab vom Schuss, am äußersten
Südzipfel Gießens. Die Zufahrt ist für Ortsfremde nur
schwer zu finden, sie führt über schmale Straßen,
entlang an Wiesen. Erst wenn ein Turmhäuschen auftaucht, mit einer rundum verglasten Spitze, wird klar: Es gibt ihn tatsächlich, den Flugplatz Lützellinden.
Seit 1968 starten und landen dort kleine Maschinen – aus der »Flotte« des Aero-Clubs, der hier zu Hause ist, aber auch von Gästen. Im Schnitt kommen, im Sommer, pro Tag 20 Flüge zusammen. Und selbst jetzt liegt das Gelände nicht im Winterschlaf. Dafür sorgen zum Beispiel Geschäftsleute aus der Region, vor allem von größeren Unternehmen, die von hier aus zu Firmenniederlassungen in ganz Deutschland oder im benachbarten Ausland abheben. »Der Flugplatz spielt für die Infrastruktur eine nicht unwesentliche Rolle« – das sagt Rolf Allendörfer, Vorsitzender des Aero-Clubs Lützellinden und Geschäftsführer der Betriebsgesellschaft Flugplatz GmbH. Allendörfer (58) ist selbst Flieger aus Leidenschaft, wie schon sein Vater Erich, der vor 44 Jahren zum Jungfernflug auf dem Gelände startete – einer gemähten Wiese, die asphaltierte Landebahn kam erst später dazu. Auch Gerd Klose (68), zweiter Vorsitzender, und Robert Schuchmann (83), jahrzehntelang im Vorstand und Ende der 60er einer der Mitbegründer des Clubs, gehören zu den überaus aktiven Mitgliedern, die den 15 Hektar großen Flugplatz am Laufen halten – etwa durch Dienste im »Tower«, der in den Sommermonaten täglich bis zur Dämmerung besetzt ist und im Winter jederzeit bei Bedarf.
Für dieses Hobby braucht man
Zeit: »Morgens führt der erste Weg über den Flugplatz
und abends der letzte«, sagt Klose, und seine beiden Mitstreiter nicken zustimmend.
Rolf Allendörfer, Robert Schuchmann und Gerd
Klose (v.l.) sind seit vielen Jahren im Verein und am Flugplatz aktiv.
(Foto: Schepp) |
Aero-Club besitzt drei Maschinen
240 Mitglieder hat der Verein, sie kommen aus ganz Mittelhessen. In der Region ist die Anlage ohne Konkurrenz (der Flugplatz in
Marburg-Schönstadt unterliegt im Betrieb rechtlich höheren
Anforderungen, verfügt allerdings nur über eine Graslandebahn).
Zur Zeit hat der Aero-Club drei Maschinen in seinem Besitz: Eine Piper
PA 28 – ein viersitziger Tiefdecker, der es auf eine Spitzengeschwindigkeit von 220 Kilometern pro Stunde bringt und der Nonstop etwa 1000 Kilometer zurücklegen kann;
eine zweisitzige Tecnam mit noch etwas größerem Radius; und
schließlich – gerade neu zugelassen – eine Cessna
172, ein weiterer Viersitzer, als modernstes Fluggerät. 120 000 Euro hat die sechs Jahre alte Maschine gekostet.
Das Geld kommt von den Mitgliedern, auch über die Flugschule, die der Verein betreibt und über die er den eigenen Nachwuchs
rekrutiert. Das Mindestalter liegt bei 16 Jahren (das jüngste
fliegende Mitglied ist in diesem Alter und hat gerade seine
Prüfung bestanden, der älteste aktive Lützellindener
Pilot, Erich Kubisch, ist 88). Die Ausbildung bis zum ersten Alleinflug
kostet knapp 7000 Euro, 100
Landungen inbegriffen. Man muss regelmäßig fliegen, um seine
Lizenz zu behalten. 50 Euro pro Monat
sollte ein ausgebildeter Pilot für sein Hobby einkalkulieren. Das
sei bezahlbar, meint Allendörfer: »Golf spielen ist teurer.«
100 bis 135 Euro kostet kostet eine Flugstunde in einer vereinseigenen Maschine (Sprit inbegriffen), Ruhezeiten am Boden werden
nicht berechnet. Eine vollgetankte Tecnam schafft es in zweieinhalb
Stunden bis nach Sylt. »Bei vier Personen ist der Flug
günstiger als die Bahnfahrt ohne Ermäßigung«,
sagt Gerd Klose. Nicht nur Ziele in Deutschland sind begehrt. Die Vereinsmitglieder
haben im Laufe der Jahre schon »alle europäischen
Hauptstädte« angeflogen, versichert Robert Schuchmann.
Geschäftsleute und Politiker auf Tour
Etwa
zwölf bis 15 Maschinen stehen in weiteren Hallen neben dem Tower.
Sie gehören Geschäftsleuten oder Unternehmen aus dem
Großraum Gießen/Wetzlar, die schnell und staufrei reisen
wollen oder müssen. Auch dringend benötigte Materialien werden so transportiert. Allendörfer nennt ein Unternehmen aus dem Landkreis Gießen, das Ersatzteile aus Stuttgart einfliegen lässt. Das Gießener Uniklinikum hat den Flugplatz schon genutzt, um menschliche Organe zu besorgen. Auch Politiker
schätzen den Standort, etwa bei ihren Wahlkampfauftritten. Gerhard
Schröder, Rudolf Scharping oder auch Franz Josef Strauß – der steuerte sein Flugzeug selbst – kamen auf diesem Weg schon nach Lützellinden. Am
Flugplatz sind auch zwei Ultraleicht-Flugschulen tätig, allein sie
bringen es in einem Sommermonat auf bis zu 400 Starts. Außerdem
kann man Fallschirmspringen. Im Internet gibt es Infos zu den Angeboten
(www.edfl.aero) und zum Verein (www.aeroclub-luetzellinden.de). Jeden ersten Freitag im Monat treffen sich Interessierte ab 19 Uhr zum Stammtisch in der Fliegerklause.
© Gießener Allgemeine Zeitung 2012 - www.giessener-allgemeine.de Artikel vom 18.12.2012